Ich zäume ja gern das
Pferd von hinten auf, will sagen, mich interessiert in erster Linie, wie die
Idee zu einem Roman entsteht und ob man das aus dem Roman herauslesen kann.
Wolfram Fleischhauer gibt in seinem spannenden Thriller Torso im Nachwort einen
wichtigen Hinweis darauf:
Die Idee zu diesem Roman kam mir im Saal der Neun im Museo Civico, Siena, dessen Besuch ich auch den Nicht-Thriller-Lesern unter uns Steuerzahlern sehr ans Herz lege.
Der Roman wurde 2011 veröffentlicht, somit vermutlich 2 bis 3 Jahre zuvor
vorbereitet und geschrieben. Also mitten in der Finanzkrise. Ich stelle mir das
so vor: Fleischhauer steht also in
diesem Museum, sieht dieses
Wandgemälde, die eine korrupte Regierung einer volksnahen gegenüberstellt, indem sie die korrupte mit chimäre Fratzen
zeigt und überlegt sich, was passieren würde, wenn jemand in heutiger Zeit
die Nase gestrichen voll hat von den Machenschaften und Mauscheleien zwischen
Politik und Finanzwelt, wie sich die 'Großen das Geld der Kleinen untereinander
aufteilen, und beschließt, einem Amoklauf gleich, dieser korrupten Regierung und
den Verantwortlichen für die Bankenkrise die Chimären aus den Gemälden in Form
von zusammengesetzten Leichenteilen aus Mensch und Tier vor die Augen zu setzen.
Nachdem die Frage dann noch geklärt ist, wer sowas tut und inwiefern es gerechtfertigt sein kann, zu solchen drastischen Mittel zu greifen - natürlich
nicht, aber es ist ein probat-gruseliges Mittel, um drastisch auf solche Verstrickungen in der Finanzwelt aufmerksam zu machen, so, dass einem die Augen
schlackern - steht das Grundgerüst für einen Thriller; und er beginnt auch
mit dem Fund dieser Inszenierungen. Den Roman selbst verlegt er aber in das
Jahr 2003 und spricht damit rückwirkend eine Warnung aus.
Klappeninnentext:
Ein Frauentorso mit Ziegenkopf, gehüllt in mittelalterlich anmutendes Tuch... Der bizarre Fund, der in einem Plattenbau in Berlin-Lichtenberg auf die Mordkommission wartet, bleibt nicht der einzig seiner Art. Noch am selben Morgen macht eine Putzfrau in einem Szene-Club eine nicht weniger grausige Entdeckung. Hauptkommissar Martin Zollanger befürchtet eine Mordserie - oder ist es gar das makabre künstlerische Statement eines Psychopathen? Zollanger, der ehemalige Volkspolizist, tappt im Dunkeln und zweifelt angesichts solcher Monstrositäten einmal mehr am Sinn seines Berufes.
Unterdessen sucht die junge Streetworkerin Elin Hilger vergeblich das Gespräch mit ihm. Sie ist überzeugt, dass ihr Bruder, der sich in Berlin das Leben genommen haben soll, ermordet wurde. Kurz vor seinem Tod hatte er schreckliche Angst - doch warum sollte der allseits beliebte IT-Spezialist einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein?
Als etwas später deine junge Frau entführt wird, deren Vater in höchsten politischen Kreisen verkehrt, muss Zollanger handeln. Muss die Rätsel verknüpfen die Botschaft der Torsi entschlüsseln - samt den Horrorszenarien, die sie symbolisieren. Denn in der Hauptstadt aller Gier hat jemand sich aufgemacht, Rache zu nehmen für einen gigantischen Skandal, der niemals öffentlich werden durfte...
Zu Beginn hatte ich etwas Schwierigkeiten mit dem Stil und Sprachduktus. Von seinen
bisherigen Romanen war ich es gewohnt, von seinen dichten Beschreibungen sofort
in die Welt des Buches hineingezogen zu werden. Das war diesmal anders. Die
Sätze sind kurz, sachlich und ohne jegliches Gefühl. Aber das ändert sich je näher einem die
einzelnen Figuren der Geschichte kommen. So ist man bald wieder beim gewohnten Fleischhauer angekommen, der einen zunehmend fesselt. Im Nachhinein
interpretiere ich das Stakkato linearer Informationsschnipsel als die notwendige
Distanziertheit der Polizeiarbeit. Diese Funde, mit denen sich das Team um Hauptkommissar Martin Zollanger beschäftigen
muss, verlangt das geradezu, um nicht
den Verstand zu verlieren.
Fleischhauer versteht es brillant, zahlreiche
Puzzleteile nach und nach auf den Tisch zu legen, die einem Ahnungen mitgeben und dennoch,
enttäuscht von der eigenen Detektivarbeit, wieder im Dunkeln tappen lassen, bis
er schließlich eine Bombe platzen lässt, die niemand wahrhaben will. Wenn man
seit der Entführung von Inga bis dahin nicht ohnehin schon gefesselt an den
Seiten hing, spätestens jetzt muss man die Auflösung erfahren.
Geschickt gibt er in drei Szenen, die augenscheinlich recht überflüssig
daherkommen wichtige Hinweise auf den tatsächlichen Täter, so dass man vorab
eine Ahnung haben kann, die einem am Ende ausführlich und schlüssig bestätigt
wird.
Bis auf 'Drei Minuten mit der Wirklichkeit' habe ich alle
Romane von Fleischhauer gelesen, inklusive der Fantasía-Fanfiction 'Die
Verschwörung der Engel'.
Nach den für mich stärksten 'Das Buch in dem die Welt
verschwand' und 'Die Schule der Lügen' schwächelte er ein wenig mit 'Der
gestohlene Abend'.
Bei Torso dreht er wieder zur altbekannten Form auf.
Mein Fazit: Premium!
Torso, erschienen bei Droemer-Knaur (2011, 427 Seiten), ist der erste Teil eines Drei-Buch-Projektes. Im September 2013 folgt "Schweigend steht der Wald"
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