Montag, 28. November 2011

Ohne das Epiphänomen Bewusstsein gäbe es nichts

Mit Metzingers neuen Philosophie des Selbst erhält eine Erkenntnistheorie frischen Wind, die, die verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen vereinend, bei den einzelnen Disziplinen eher unbeliebt war und kritisiert wurde: der Konstruktivismus. Bereits in den 1960er Jahren beschrieben die Österreicher Heinz von Förster, Ernst von Glasersfeld und Paul Watzlawick die Welt, so wie sie vom Menschen wahrgenommen wird, als eine subjektive Konstruktion, ersten Ranges als eine Konstruktionsleistung des Gehirns und 2. Ranges als eine Konstruktionsleistung des bewussten Subjekts, letzteres die Hauptursache für Missverständnisse und die unterschiedlichen Theorien und Ansichten über die Welt. Von Förster und von Glasersfeld beschreiben den Konstruktivismus aus der Sicht des Physikers und Kybernetikers, Watzlawick aus der Sicht des Psychologen und Therapeuten. In den 1970ern kommen die chilenischen Biologen Francisco Varela und Humberto Maturana mit ihrem Konzept der Selbstorganisation und der Biologie der Realität hinzu. Mit der Systemtheorie Niklas Luhmanns sei ein weiterer Hauptvertreter genannt. Metzingers Ideen über das Selbst sind also nicht so neu, bekommen aber durch die jüngere Entwicklung in der Hirnforschung und den populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen Wolf Singers wieder neue Bedeutung. Und das ist gut so, denn ich halte diese Erkenntnistheorie für die Schlüssigste zur Beschreibung des Menschen, seines Bewusstseins und seiner Positionierung in der Welt. Sie hilft meines Erachtens zu verstehen, dass der Mensch keinen Zugang zu einer objektiven Wahrheit hat und daher auch keinen Anspruch darauf erheben sollte. Hierdurch wird verständlich, warum es sowohl in kleinsten wie auch in großen Gesellschaften zu unterschiedlichen Wirklichkeitsdeutungen kommen kann. Vielleicht sieht man mit diesem Wissen davon ab, sich über Deutungen zu streiten, sei es aus privaten, ideologischen oder religiösen Gründen.
Metzingers Buch ist somit nicht nur ein gut geschriebenes und verständliches Buch über das menschliche Bewusstsein sondern auch ein wichtiger Beitrag für die nächste Aufklärungsstufe.

Thomas Metzinger 
Der Ego-Tunnel: Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik
384 Seiten, Berlin Verlag Taschenbuch (6. November 2010)

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