Sonntag, 4. März 2012

Philip Pullman - Der gute Herr Jesus und der Schurke Christus

Philip Pullman - Der gute Herr Jesus und der Schurke Christus
erschienen 2011 im S. Fischer-Verlag 

Auf der Rückseite heißt es in großen Lettern: DIES IST KEINE FROHE BOTSCHAFT.
Nachdem ich Pullmans "His Dark Materials"-Trilogie um den Goldenen Kompass, das magische Messer und das Bernstein-Teleskop gelesen hatte, war mir klar, was diese Worte bedeuten sollten: Als Gnostiker rechnet Pulmann mit der christlichen Kirche ab, die Jesus als Gottes Sohn für ihre Zwecke missbraucht hatte.
Für einen gläubigen Gnostiker steht Jesus für das Licht. Er ist eine niedergekommene Lichtgestalt, die verkündet, dass jeder die Erkenntnis (Erleuchtung) in sich trägt und somit ein Kind des höchsten Gottes (Ursprungs) ist. Ein Gott, der im übrigen nicht der Jahwe des alten Testamentes ist. Denn der, so heißt es aus gnostischer Sicht im Allgemeinen, ist der Demiurg, der die Materie (His Dark Materials) in die Welt gebracht hat und damit das Licht des Geistes in einer Hülle gefangen hält. Höchstes Ziel eines guten Gnostikern ist es also, sich dieser Hülle zu entledigen und den Geist zum Licht (Ursprung) zurückzuführen. Jesus ist nach dieser Überzeugung also der Lichtbringer (Luzifer), derjenige, der die Lichtteilchen, die in jedem ruhen aktiviert. Im Goldenen Kompass entspricht diesen Lichtteilchen der Staub. Dem Erleuchteten war es, nachdem er erfüllt war von diesen Lichtteilchen verboten, sich mit jemandem zu verbinden, dessen Blut vom materiellen Glauben verunreinigt war, das die Agenten (Matrix) des Demiurgen in die Welt gebracht hatten. Beiß' also besser ein Stück vom Apple ab und think different!
Ein Affront für die Kirchen also, für die Jesus der einzige Sohn Gottes ist und der Mensch ihm demütig und ohne Verstand zu dienen hat.
Nach der Aufklärung fanden diese gnostischen Ideen des erleucheten Blutes wieder Gefallen in den frühen Kreisen um Rudolf Steiner, den Theosophen, den Ariosophen, schließlich den Kosmikern um Alfred Schuler und Stefan George (hierzu gibt es ein faszinierendes zeitgenössisches Dokument von Franziska Gräfin zu Reventlow "Herrn Dames Aufzeichnungen" Super Tipp!) aus den 1910ern im Münchner Schwabing und gipfelte in den Rassentheorien des Nationalsozialismus.

Aus christlicher Sicht eine völlig verdrehte Welt. Aus Sicht gläubiger Gnostiker die einzige Wahrheit.
Ist "Der gute Herr Jesus und der Schurke Christus" also eine Streitschrift eines überzeugten Gnostikers? Eine längst fällige Abrechnung mit der christlichen Kirche? Die Aufdeckung eines der größten Komplotte, die die Welt je gesehen hat? Ein Aufruf an die Gläubigen der Welt zur Umkehr, zur einzigen Wahrheit, bevor das jüngste Gericht naht?
Je weiter ich in diesem Buch vorangeschritten war und nach eindeutigen Zeichen für meine Theorie geforscht hatte und nur verwirrter wurde, weil nichts passte, um so deutlicher wurde mir, dass es Pulmann um etwas anderes ging.
Pulman ist kein Gnostiker sondern ein Historiker. Ein sehr nüchterner Historiker. So nüchtern, dass einem die Seligsprechungen Jesu bei seiner berühmten Bergpredigt unkommentiert im Hals stecken bleiben und man erst am Ende begreift, was Pulmann einem damit sagen will. Jesus war einfach nur ein Mensch. Und das ist für mich, als überzeugter Ungläubiger EINE GUTE BOTSCHAFT!

Auf 230 nicht eng beschriebenen Seiten teilt Pulman die Geschichte von Jesus und Christus in 48 kleine Häppchen mit Überschriften auf, die uns aus dem Neuen Testament größtenteils vertraut sind, wenn man es nicht kennt: Maria und Joseph, Die Empfängnis  Jesu, Die Taufe Jesu, Die Versuchung Jesu in der Wüste, Jesus und der Wein, Jesus predigt auf dem Berg, Der Tod des Johannes, Jesus und die Geldwechsler, Jesus im Garten Gethsemane, Jesus und Pilatus, Maria aus Magdala am Grab und so weiter und so fort. Die Geschichten und Bilder eben, die man von Jesus-Verfilmungen aus der Kindheit kennt.
Gleich zu Beginn wird man damit konfrontiert, dass Jesus weitere Geschwister hat; darunter sein Zwillingsbruder Christus, dem in der "Heiligen Nacht" von drei Astrologen eine große Zukunft beschieden wird. Jesus ist ein kleiner Rabauke, der viel draußen ist, mit seinen Geschwistern und den Kindern auf der Straße spielt, dabei einigen Unsinn macht und stets zu spät nach Hause kommt, während Christus, ein eher ruhiger Junge, meist zu Hause bei Vater und Mutter bleibt, schon früh tief beseelt ist vom Glauben, viel betet und sehr empfänglich ist für das Übersinnliche und für eine mögliche Rolle als Gottessohn. Bis zu Jesus Taufe im Jordan blieb für mich unklar, wer von den beiden nun der Gottessohn sein sollte. Dann aber wird beschrieben, wie gerade der Tunichtgut Jesus von Heiligen Geist in Gestalt einer Taube zum geliebten Sohn auserwählt wird und fortan spielt Christus nurmehr die Rolle eines Beobachters, der aber immer wieder versucht, Jesus auf den rechten Pfad zu bringen und ihm vorzuschreiben, wie er sich künftig als Gottessohn zu verhalten habe, damit auch möglichst viele an ihn glauben und eine große Gemeinde entsteht. Jesus aber will sich nichts sagen lassen. Er hat seine eigene Interpretation von der Welt und die will er nicht zu Gunsten einer großen Anhängerschaft aufgeben. Jesus bleibt störrisch und unangenehm und das gefährdet den Aufbau einer Gemeinde und fördert stattdessen seine mögliche Gefangenschaft als Aufwiegler. Seine Predigten sind widersprüchlich und passen so gar nicht in unsere Vorstellung von Demokratie und Menschenrechten. Er predigt, man solle für seine Überzeugung seine Familie verleugnen und auch ruhig mal das Schwert sprechen lassen. Je nach Situation sind Geld und Besitz wichtig oder nicht und Tiere sind grundsätzlich weniger wert als Menschen. Auch die Rolle der Frau bleibt unklar und will sich nicht so ganz in unser "christliches" Werteverständnis fügen. Da fragt man sich doch: Häh?! Wieso ist Jesus jetzt der Gute? Wohin soll das Ganze führen?

Doch da tritt ein Fremder in Christus Leben und gibt ihm Ratschläge, wie sich Jesus doch noch erfolgversprechend vermarkten lässt. Christus glaubt in dem Fremden einen Engel, einen direkten Botschafter Gottes zu erkennen, doch Pulman lässt die Rolle dieser Figur bis zum Schluß offen und bis zum Schluß kann es sich auch einfach nur um einen geschickten Unternehmer handeln, der  unerkannt bleiben will und Christus als Zeugen und Vertrauten braucht, um eine machtvolle und profitable Firma namens Kirche aufzubauen. Christus bleibt also immer mehr im Hintergrund, notiert Jesus Botschaften und deutet sie für die Nachwelt positiv um. Allerdings scheitert er als überzeugter Anhänger von Jesus Wundern und als frommer Gottesgläubiger bei dem Versuch, eine an Krebs leidende Hure, der er beischläft, selbst von ihrem Leid auf wundersame Weise zu heilen. Zudem erfährt er von Aussetzigen, wie Jesus Wunder tatsächlich funktionieren und in Wirklichkeit gar nicht so große Wunder sind und wie häßlich und unbelehrbar der Mensch sein kann. Und während Jesus ein ernsthaftes Zwiegespräch mit einem zweifelhaften Gebilde namens Gott führt (für mich mit die beste Passage) lässt sich der gescheiterte Christus von dem Fremden dazu überreden, wie Abraham ein Opfer zu bringen, und sein eigen Fleisch und Blut auszuliefern, um das Unternehmen Kirche voranzubringen und doch noch die Welt zu retten.

Und nun wird klar, was Pulman mit diesem Buch sagen will. Es gab einen von vielen Wanderpredigern, der in einem besetzten Land die unterschiedlichsten Ideen entwickelte, wie man sein Volk in eine bessere Situation führen könnte. Überzeugt von den seinerzeit kursierenden Weltanschauungen konstruiert sich dieser Wanderprediger eine mögliche Antwort auf die gegebenen Situationen. Weil er einfach nur ein Mensch ist, der sich Gedanken über die Welt macht, sind diese Konstruktionen natürlich fehleranfällig, angreif- und revidierbar. Sie sind gekennzeichnet von liebevollen Begegnungen genauso wie von Wut und Verzweiflung. All das was das Menschsein nunmal ausmacht. Um aus dieser Person nun einen Gottessohn zu machen, bedarf es des Zufalls in Gestalt eines Beobachter und "vielleicht" eines windigen Geschäftmachers, die aus den (Wider-)Sprüchen etwas stimmiges, schlüssiges und heiliges machen. Nur so lässt sich der Wanderprediger an die Bevölkerung und vor allem an die zukünftigen Machthaber verkaufen. Und so ist es ja bekanntlich auch geschehen. Das ist das einzige, was an dieser Geschichte wahr ist.

Eine wie gesagt wahrhaft FROHE BOTSCHAFT!

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