Freitag, 23. März 2012

Tir na n'Óg von Sean O'Connell


Tausend Jahre nachdem das große Tier geweckt wurde und der Mensch sich darin versucht hat, seine eigene Sterblichkeit zu überwinden und damit die bekannte Welt in eine Katastrophe geführt hat, werden ein Meister der Archivarbruderschaft und sein Schüler losgeschickt, um herauszufinden, was damals tatsächlich geschehen war.

Bei einer Bruderschaft muss man davon ausgehen, dass es sich um Mönche handelt und schon bald erfährt man auch, dass es einen Streit zwischen den Gelehrten gibt, ob das Auslösen der Katastrophe menschlicher oder göttlicher Natur war. Da die Archivare, allen voran Professor Aulus,  Verfechter der göttlichen Version sind, muss es sich bei ihnen also um eine Glaubensbruderschaft handeln. Dass gerade sie die Wahrheit herausfinden wollen und nach Beweisen für ihre Threorie suchen, halte ich für sehr mutig, denn schließlich basiert Glauben ja auf Unwissen. Die Kirchen würden sich das nicht trauen. Zu sehr stünde dadurch ihr gesamtes System auf dem Spiel.
Selbstverständlich sieht sich Meister Aki, eine Mischung aus Indiana Jones Vater und William von Baskerville aus der Name der Rose auf der Seite der Vernunft. Ein Skeptiker in den eigenen Reihen und somit wichtig für den aufgeklärten Leser. Wer will schon von sich behaupten, hinter dem Mond zu leben. Auch wenn man die Mystik einer Bruderschaft toll findet. Vor allem im Vergleich zu nüchternen Wissenschaftler, bei dem keine Wunder geschehen dürfen.
Professor Aulus erklärt den Schülern dann auch nochmal die Bedeutung des Schisma-Konflikts, so als hätten sie noch nichts davon gehört, aber dafür weiß jetzt jeder Bescheid.

Ihr Weg führt den Meister Aki und seinen Schüler Cornelis zunächst zur Station Sonnenallee, wo sich ihnen unfreiwillig das Mädchen Raggah anschließt. Gesteuert von einem Steppogo (cool), eine Art Voodoo-Puppe mit Innenleben, die ihren Wirt zu einem willenlosen Vollstrecker macht, hängt sie sich zunächst an die beiden ran um sie auszuspionieren. Cornelis aber, der noch nicht genau weiß, wie er zu der Kämpferin stehen soll, befreit sie aus den Fängen ihres Auftraggebers, einem Annunaki-Ersten und zu dritt finden sie Zuflucht im Haus eines Freundes des Ordens, Quentin Yaacov, mit dem Meister Aki verabredet war. Dort erfährt man, dass Cornelis schon lange heimlich auf seine Rolle als Auserwählter vorbereitet wurde. Seine Aufgabe ist es, das Tor nach Tir  na n'Óg zu öffnen, hinter der sich eine der Älteren verschanzt, die die Apokalypse vor tausend Jahren mitverantwortet hat. Aki weiss, dass die Ältere, Bernadette, nach der Katastrophe einen genetischen Schild erschaffen hat, dessen Code erst jetzt, nach einer 500-jährigen Testreihe in der Gestalt von Cornelis Fingerprint geknackt wurde. Vor zwei Jahren wurde Aki von einem höheren Ordensbruder beauftragt, dieses Geheimnis zu erforschen und aufzulösen. Seither bangte er darum, dass Cornelis zu seiner Aufgabe auch bereit ist.
Ihr Hauptziel im ersten Buch ist das Labyrnthos Dang Lang, eine aus Ruinen in die Höhe gebaute Megacity, in der sich die Reste der Zivilsation gesammelt haben und wo, wie in den Favelas, kriminelle Kleinstaaten um die Vorherrschaft der verschachtelten und verwinkelten Ebenen kämpfen. Auf dem Weg dorthin und in der Stadt selbst begegnen sie zwei Älteren, die ihnen beistehen und ihre Fragen beantworten. So dringt man zunehmend in die Verflechtungen um das Geheimniss von Tir na n'Óg und die Katastrophe ein. Es scheint, dass über allem ein seit tausend Jahren fortwährender Kampf zwischen den Älteren stattfindet, der kurz vor seinem Höhepunkt steht. Zudem droht der Umwelt aufgrund des Schildes eine Entropie, die es aufzuhalten gilt.
Je mehr Antworten man erhält, um so mehr fragt man sich, wer nun eigentlich was weiß und wer wen mit was beauftragt hat. Zum Glück, sonst könnte man das Buch auch zur Seite legen.

Und man fragt sich und erfährt, was für eine Welt seither entstanden ist. Es ist eine gänzlich neue, die vor den Augen des Lesers entfaltet wird. Sie erstreckt sich über einen Kontinent mit Ländereien und Herrschaftsgebieten im Norden und im Süden, der Insel Tir na n'Óg und einer faszinierenden parallelen Unterwelt, in der aufgrüstet wird wie in Mordor. Man fühlt sich an Schauplätze erinnert wie in Star Wars und Herr der Ringe. Es gibt Eiswüsten, Sumpflandschaften und Wüstenstädte. Es wird mit Schwertern gekämpft ebenso wie mit der Neuerfindung einer Schallwaffe. Man zieht beritten in die Schlacht und reist mit steampunk-dampfenden Raupenbussen im Mad Max-Tempo durch die Landschaft.
Ein wilder Mix. Alles ist vertraut, erscheint nebeneinander fast unmöglich und funktioniert in seinem neuen Gewand doch erzählerisch erstaunlich gut. Nicht nur die Archivare wolllen da wissen, was in den letzten tausend Jahren geschehen ist.
Fasziniert war ich auch von den Kreaturen, die Sean O'Connell geschaffen hat und die er sehr anschaulich, spannend und gruselig beschreibt. Allen voran der Metamorph, der zu einem bedrohlichen Gegner für Aki wird. Super originell auch die Spinnenköpfler oder die Mu. Deren Beschreibungen haben mich allesamt in ihren Bann gezogen. Chapeau! Eindeutig Güteklasse 1 für Kreativität.
Im Eifer dieser fantastischen Bilderflut sind dem Autor jedoch zunächst ein paar Ungereimtheiten unterlaufen, die aber durch einen geschickten dramaturgischen Schachzug nach etwss mehr als der Hälfte wett gemacht werrden, indem der Leser mehr erfahren darf als die Helden des Buchs. Von nun an bangt man mit den unbedarften Protagonisten und das macht es erst richtig spannend.
Die kleinen Ungereimheiten liegen meiner Ansicht nach in der Schwierigkeit, die der Mensch damit hat, sich eine Zeitspanne von tausend Jahren wirklich vorstellen zu können. Auf der einen Seite jongliert er mit Jahreszahlen, die das Entstehen und Vergehen ganzer Universen umfassen können, auf der anderen Seite ist er nicht mal in der Lage, sich seine eigene Lebenspanne vorzustellen. Und nur selten ist er bereit, ein Projekt zu beginnen, das seine eigene Lebensdauer übertrifft.
Um auf der einen Seite die Arten entstehen zu lassen, die es in Tir na n'Óg gibt, bräuchte es weit mehr als tausend Jahre Evolution. Der Ältere Albert Harris öffnet hingegen eine 40 Jahre alte Flasche Whiskey und Michael Altfeld aus Dang Lang betreibt sein Restaurant gerade mal seit 50 Jahren. Hier hat man das Gefühl man befindet sich im Jahr 2030 statt tausend Jahre später. Die gefühlte Vergangenheit umfasst eben nicht viel mehr als das eigene bisherige Leben. Solche Gedankenfehler sind nur allzu menschlich. Aber vielleicht sind es gar keine Fehler und alles löst sich in den Fortsetzungen auf. Das wäre natürlich der Oberknaller.

Die Älteren sind die Überlebenden der Katastrophe und vermutlich die Verursacher, weil sie am Nektar des ewigen Jungbrunnens nippen wollten. Und damit sind wir beim eigentlichen Thema der Geschichte: die Unsterblichkeit.
Ein brillanter Physiker hat die Formel dafür entdeckt, wie sich die körpereigenen Algorithmen, die die Welt zusammenhalten auf ewig selbst reparieren können.
Ein Naturwissenschaftler fragt man sich zu Recht. Das ist doch eher was für die Religionen. Aber nein. Auch der Naturwissenschaftler träumt von der Unsterblichkeit. Jedoch nennt er es nicht Jenseits sondern Transhumanismus.
Aber will man wirklich für alle Zeit beispielsweise mit seinem gescannten Bewusstsein auf einer Membran irgendwo am Rande eines auf die Singularität zusteuerndes Paralleluniversum kleben? Oder liegt es daran, dass der Mensch einfach nicht in der Lage ist sich vorzustellen, nicht mehr zu sein. Aber wie soll er auch? Schließlich ISTer ja in dem Moment, da er sich vorstellt NICHT ZU SEIN. So stellt er sich das Nichtsein im Sein vor und das fühlt sich eben sehr lebendig an. Rein kognitiv muss man demnach unsterblich sein. Aber höchstens fünfzig Jahre.
Stellen wir uns aber auch mal vor, es gäbe an sich keine Vergänglichkeit und keine Verletzbarkeit. Würden dann neben uns auch die ersten Menschen noch leben? Wären sie dann auf dem gleichen Stand wie wir? Und auf welchem Stand der Evolution wären wir dann eigentlich selbst? Ab welchem Alter beginnt die Unsterblichkeit? Mit zwei, zehn, zwanzig oder vierunddreißig? Und altert man danach nicht mehr oder nur noch seehr langsam?
Diese Gedanken sind genauso absurd und spannend wie Zeitreisen. Ich sage ja immer, wenn es in der Zukunft Zeitreisen gäbe, wüssten wir schon längst davon. Der Umkehrschluss ist demnach, dass Zeitreisen niemals möglich sein werden. Und genauso wenig das ewige Leben. Und das ist sehr gut so. Nur unsere kognitive Unfhähigkeit bringt uns dazu, eine Menge Zeit und Geld für solche Ideen zu verschwenden. Oder eben gute Bücher über dieses Thema zu schreiben. Also gut: Hunde! wir wollen ewig leben!


A propos Hunde...

Doch vorab noch eine Sache zum Stil, der mir insgesamt gut gefallen hat und bis auf sehr wenige, etwas flachere Stellen sehr professionell ist. Ein No-Go hat sich da eingeschlichen, das jedem Lektorat hätte auffallen müssen. Um eine zeitliche Abfolge darzustellen, sollte man möglichst auf das Wörtchen "dann" verzichten. Im Text tummeln sich auf jeder Doppelseite gefühlte drei davon. Da sollte es elegantere Lösungen geben.

Und jetzt a propos Hunde...
Eine Sache liegt mir noch am Herzen und das richtet sich generell an die Autorenzunft. 
Auch in Zeiten von Facebook, in der das geschriebene Wort weitaus inflationärer eingesetzt wird als in den Jahren nach Gutenberg, kann es beim Leser noch immer sehr gewichtig sein. Vor allem bei einem guten Autor und einem guten Buch wie in diesem Fall. Umso wichtiger ist es dann, die einzigartige Möglichkeit zu nutzen, im  Bewusstsein des Lesers ein Umdenken anzuregen. Lösungen anzubieten, an die er zuvor nicht gedacht hat. Und nimmt der Lesr den Autor ernst und hat er es erstmal schwarz auf weiß, dann wird das geschreibene Wort ganz von allein wirken. Wie zum Beispiel beim Umgang des Menschen mit den Tieren. In Tir na n'Óg werden Tiere so behandelt, wie man es gewohnt ist, wie Tiere eben. Das alleine klingt ja schon abwertend.
Als Meister Aki mit seinem Schüler und dem Mädchen Raggah das Labyrinthos Dang Lang betreten, werden sie von einer Gruppe Reiter aufgehalten, die diese Ebene des Labyrinthes beherrschen und Schutzgeld abpressen wollen. Als Lösung fällt Aki ein, blitzgeschwind zu einem Gewehr zu greifen und die Reittiere der Schutzgelderpresser eines nach dem anderen abzuknallen. Warum? Was soll das für eine Funktion haben? Warum knallt er nicht die Typen ab, wenn er ein Problem mit ihnen hat. Was können die Tiere dafür, dass auf ihnen solche Arschlöscher sitzen. Wäre es nicht überraschend gut gewesen, wenn er die Ausbeuter umgesäbelt und die Tiere aus ihrer Gefangenschaft befreit hätte? Hier kann man doch ein eindeutiges Zeichen setzen und Wunder bewirken statt ins ewig gestrige Horn zu blasen.
In einer weiteren Szene begegnen unsere Helden herrenlosen Straßenhunden. Und wie in der Ukraine greift Raggah zu einem Stein und prügelt sie nieder. Warum? Gerade jetzt, wo vor der EM 2012 für ein schöneres Straßenbild die ukrainische Bevölkerung von offizieller Seite mit der irrigen Vorstellung heiß gemacht wird, die Straßenhunde seien gefährliche Bestien und sie damit dazu treibt, die hungernden, verängstigten Geschöpfe auf offener Straße niederzuknüppeln und noch halb lebendig in fahrenden Krematorien zu verbrennen, sollte man doch ein deutliches Signal aussenden und besser eine Szene beschreiben, wie wenigstens Cornelis, Raggah und Aki sich in ihrer Szene um die herrenlosen Tiere kümmern, sie zu einem Tierarzt bringen und sie versorgen lassen, wenn es in diesem Moloch schon sonst keiner tut. Das wäre doch mal was gewesen. Die Leser hätten gestaunt und die drei Gefährten wären ungleich sympathischer.

Trotz dieses für mich kleinen, bitteren Beigeschmacks freue ich mich auf die Fortsetzung und auf die Auflösung des Geheimnisses von Tir na n’Óg. 

Tir na n'Óg, Teil 1, Der Auserwählte
Autor: Sean O' Connell
Acabus-Verlag, 2011
232 Seiten, Paperback

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