Tausend Jahre nachdem das
große Tier geweckt wurde und der Mensch sich darin versucht hat, seine eigene
Sterblichkeit zu überwinden und damit die bekannte Welt in eine Katastrophe
geführt hat, werden ein Meister der Archivarbruderschaft und sein Schüler losgeschickt,
um herauszufinden, was damals tatsächlich geschehen war.
Bei einer Bruderschaft
muss man davon ausgehen, dass es sich um Mönche handelt und schon bald erfährt
man auch, dass es einen Streit zwischen den Gelehrten gibt, ob das Auslösen der
Katastrophe menschlicher oder göttlicher Natur war. Da die Archivare, allen
voran Professor Aulus, Verfechter der
göttlichen Version sind, muss es sich bei ihnen also um eine
Glaubensbruderschaft handeln. Dass gerade sie die Wahrheit herausfinden wollen
und nach Beweisen für ihre Threorie suchen, halte ich für sehr mutig, denn
schließlich basiert Glauben ja auf Unwissen. Die Kirchen würden sich das nicht
trauen. Zu sehr stünde dadurch ihr gesamtes System auf dem Spiel.
Selbstverständlich sieht
sich Meister Aki, eine Mischung aus Indiana Jones Vater und William von
Baskerville aus der Name der Rose auf der Seite der Vernunft. Ein Skeptiker in
den eigenen Reihen und somit wichtig für den aufgeklärten Leser. Wer will schon
von sich behaupten, hinter dem Mond zu leben. Auch wenn man die Mystik einer
Bruderschaft toll findet. Vor allem im Vergleich zu nüchternen Wissenschaftler,
bei dem keine Wunder geschehen dürfen.
Professor Aulus erklärt
den Schülern dann auch nochmal die Bedeutung des Schisma-Konflikts, so als hätten
sie noch nichts davon gehört, aber dafür weiß jetzt jeder Bescheid.
Ihr Weg führt den Meister Aki und seinen Schüler Cornelis zunächst
zur Station Sonnenallee, wo sich ihnen unfreiwillig das Mädchen Raggah anschließt.
Gesteuert von einem Steppogo (cool), eine Art Voodoo-Puppe mit Innenleben, die ihren
Wirt zu einem willenlosen Vollstrecker macht, hängt sie sich zunächst an die
beiden ran um sie auszuspionieren. Cornelis aber, der noch nicht genau weiß, wie er zu der Kämpferin
stehen soll, befreit sie aus den Fängen ihres Auftraggebers, einem
Annunaki-Ersten und zu dritt finden sie Zuflucht im Haus eines Freundes des
Ordens, Quentin Yaacov, mit dem Meister Aki verabredet war. Dort erfährt man,
dass Cornelis schon lange heimlich auf seine Rolle als Auserwählter vorbereitet
wurde. Seine Aufgabe ist es, das Tor nach Tir na n'Óg zu öffnen, hinter der sich eine
der Älteren verschanzt, die die Apokalypse vor tausend Jahren mitverantwortet
hat. Aki weiss, dass die Ältere, Bernadette, nach der Katastrophe einen
genetischen Schild erschaffen hat, dessen Code erst jetzt, nach einer
500-jährigen Testreihe in der Gestalt von Cornelis Fingerprint geknackt wurde.
Vor zwei Jahren wurde Aki von einem höheren Ordensbruder beauftragt, dieses
Geheimnis zu erforschen und aufzulösen. Seither bangte er darum, dass Cornelis
zu seiner Aufgabe auch bereit ist.
Ihr Hauptziel im ersten
Buch ist das Labyrnthos Dang Lang, eine aus Ruinen in die Höhe gebaute
Megacity, in der sich die Reste der Zivilsation gesammelt haben und wo, wie in den
Favelas, kriminelle Kleinstaaten um die Vorherrschaft der verschachtelten und
verwinkelten Ebenen kämpfen. Auf dem Weg dorthin und in der Stadt selbst
begegnen sie zwei Älteren, die ihnen beistehen und ihre Fragen beantworten. So dringt man zunehmend in die
Verflechtungen um das Geheimniss von Tir na n'Óg und die Katastrophe ein. Es scheint,
dass über allem ein seit tausend Jahren fortwährender Kampf zwischen den
Älteren stattfindet, der kurz vor seinem Höhepunkt steht. Zudem droht der
Umwelt aufgrund des Schildes eine Entropie, die es aufzuhalten gilt.
Je mehr Antworten man erhält, um so mehr fragt man sich, wer nun eigentlich was weiß und wer wen mit was beauftragt hat. Zum Glück, sonst könnte man das Buch auch zur Seite legen.
Je mehr Antworten man erhält, um so mehr fragt man sich, wer nun eigentlich was weiß und wer wen mit was beauftragt hat. Zum Glück, sonst könnte man das Buch auch zur Seite legen.
Und man fragt sich und erfährt, was für eine Welt seither entstanden ist. Es ist eine gänzlich neue, die vor den Augen des Lesers entfaltet wird. Sie erstreckt sich
über einen Kontinent mit Ländereien und Herrschaftsgebieten im Norden und im
Süden, der Insel Tir na n'Óg und einer faszinierenden parallelen Unterwelt, in der
aufgrüstet wird wie in Mordor. Man fühlt sich an Schauplätze erinnert wie in
Star Wars und Herr der Ringe. Es gibt Eiswüsten, Sumpflandschaften und
Wüstenstädte. Es wird mit Schwertern gekämpft ebenso wie mit der Neuerfindung einer
Schallwaffe. Man zieht beritten in die Schlacht und reist mit
steampunk-dampfenden Raupenbussen im Mad Max-Tempo durch die Landschaft.
Ein wilder Mix. Alles ist
vertraut, erscheint nebeneinander fast unmöglich und funktioniert in seinem neuen Gewand doch erzählerisch erstaunlich gut. Nicht nur die Archivare wolllen da wissen, was in den letzten tausend Jahren geschehen ist.
Fasziniert war ich auch von den
Kreaturen, die Sean O'Connell geschaffen hat und die er sehr anschaulich, spannend
und gruselig beschreibt. Allen voran der Metamorph, der zu einem bedrohlichen Gegner für Aki wird. Super originell auch die Spinnenköpfler
oder die Mu. Deren Beschreibungen haben mich allesamt in ihren Bann gezogen.
Chapeau! Eindeutig Güteklasse 1 für Kreativität.
Im Eifer dieser
fantastischen Bilderflut sind dem Autor jedoch zunächst ein paar
Ungereimtheiten unterlaufen, die aber durch einen geschickten dramaturgischen
Schachzug nach etwss mehr als der Hälfte wett gemacht werrden, indem der Leser mehr erfahren darf als die Helden des
Buchs. Von nun an bangt man mit den unbedarften Protagonisten und das macht es erst richtig spannend.
Die kleinen Ungereimheiten liegen meiner Ansicht nach in der Schwierigkeit, die der Mensch
damit hat, sich eine Zeitspanne von tausend Jahren wirklich vorstellen zu
können. Auf der einen Seite jongliert er mit Jahreszahlen, die das
Entstehen und Vergehen ganzer Universen umfassen können, auf der anderen Seite
ist er nicht mal in der Lage, sich seine eigene Lebenspanne vorzustellen. Und nur
selten ist er bereit, ein Projekt zu beginnen, das seine eigene Lebensdauer
übertrifft.
Um auf der einen Seite die Arten entstehen zu
lassen, die es in Tir na n'Óg gibt, bräuchte es weit mehr
als tausend Jahre Evolution. Der Ältere Albert Harris öffnet hingegen eine 40 Jahre alte Flasche
Whiskey und Michael Altfeld aus Dang Lang betreibt sein Restaurant gerade mal seit 50 Jahren. Hier hat
man das Gefühl man befindet sich im Jahr 2030 statt tausend Jahre später. Die gefühlte
Vergangenheit umfasst eben nicht viel mehr als das eigene bisherige Leben.
Solche Gedankenfehler sind nur allzu menschlich. Aber vielleicht sind es gar
keine Fehler und alles löst sich in den Fortsetzungen auf. Das wäre natürlich der
Oberknaller.
Die Älteren sind die Überlebenden der Katastrophe und vermutlich die Verursacher, weil sie am Nektar des ewigen Jungbrunnens nippen wollten. Und damit sind wir beim eigentlichen Thema der Geschichte: die Unsterblichkeit.
Ein brillanter Physiker
hat die Formel dafür entdeckt, wie sich die körpereigenen Algorithmen, die die Welt
zusammenhalten auf ewig selbst reparieren können.
Ein Naturwissenschaftler fragt man sich zu Recht. Das ist doch eher was für
die Religionen. Aber nein. Auch der Naturwissenschaftler träumt von der
Unsterblichkeit. Jedoch nennt er es nicht Jenseits sondern Transhumanismus.
Aber will man wirklich für
alle Zeit beispielsweise mit seinem gescannten Bewusstsein auf einer Membran irgendwo am Rande
eines auf die Singularität zusteuerndes Paralleluniversum kleben? Oder liegt es
daran, dass der Mensch einfach nicht in der Lage ist sich
vorzustellen, nicht mehr zu sein. Aber wie soll er auch? Schließlich ISTer ja
in dem Moment, da er sich vorstellt NICHT ZU SEIN. So stellt er sich das Nichtsein im
Sein vor und das fühlt sich eben sehr lebendig an. Rein kognitiv muss man demnach unsterblich sein. Aber höchstens fünfzig Jahre.
Stellen wir uns aber auch mal vor, es
gäbe an sich keine Vergänglichkeit und keine Verletzbarkeit. Würden dann neben
uns auch die ersten Menschen noch leben? Wären sie dann auf dem gleichen Stand
wie wir? Und auf welchem Stand der Evolution wären wir dann eigentlich selbst? Ab welchem Alter beginnt die Unsterblichkeit? Mit zwei, zehn,
zwanzig oder vierunddreißig? Und altert man danach nicht mehr oder nur noch
seehr langsam?
Diese Gedanken sind
genauso absurd und spannend wie Zeitreisen. Ich sage ja immer, wenn es in der
Zukunft Zeitreisen gäbe, wüssten wir schon längst davon. Der Umkehrschluss ist
demnach, dass Zeitreisen niemals möglich sein werden. Und genauso wenig das ewige Leben. Und das ist sehr gut so. Nur unsere kognitive Unfhähigkeit bringt uns dazu, eine Menge Zeit und Geld für solche Ideen zu verschwenden. Oder eben gute Bücher über dieses Thema zu schreiben. Also gut: Hunde! wir wollen ewig leben!
A propos Hunde...
A propos Hunde...
Doch vorab noch eine Sache zum Stil,
der mir insgesamt gut gefallen hat und bis auf sehr wenige, etwas flachere
Stellen sehr professionell ist. Ein No-Go hat sich da eingeschlichen, das jedem
Lektorat hätte auffallen müssen. Um eine zeitliche Abfolge darzustellen, sollte
man möglichst auf das Wörtchen "dann" verzichten. Im Text tummeln
sich auf jeder Doppelseite gefühlte drei davon. Da sollte es elegantere Lösungen geben.
Und jetzt a propos Hunde...
Eine Sache liegt mir noch am Herzen und das richtet sich generell an die Autorenzunft.
Auch in Zeiten von Facebook, in der das geschriebene Wort weitaus inflationärer eingesetzt wird als in den Jahren nach Gutenberg, kann es beim Leser noch immer sehr gewichtig sein. Vor allem bei einem guten Autor und einem guten Buch wie in diesem Fall. Umso wichtiger ist es dann, die einzigartige Möglichkeit zu nutzen, im Bewusstsein des Lesers ein Umdenken anzuregen. Lösungen anzubieten, an die er zuvor nicht gedacht hat. Und nimmt der Lesr den Autor ernst und hat er es erstmal schwarz auf weiß, dann wird das geschreibene Wort ganz von allein wirken. Wie zum Beispiel beim Umgang des Menschen mit den Tieren. In Tir na n'Óg werden Tiere so behandelt, wie man es gewohnt ist, wie Tiere eben. Das alleine klingt ja schon abwertend.
Auch in Zeiten von Facebook, in der das geschriebene Wort weitaus inflationärer eingesetzt wird als in den Jahren nach Gutenberg, kann es beim Leser noch immer sehr gewichtig sein. Vor allem bei einem guten Autor und einem guten Buch wie in diesem Fall. Umso wichtiger ist es dann, die einzigartige Möglichkeit zu nutzen, im Bewusstsein des Lesers ein Umdenken anzuregen. Lösungen anzubieten, an die er zuvor nicht gedacht hat. Und nimmt der Lesr den Autor ernst und hat er es erstmal schwarz auf weiß, dann wird das geschreibene Wort ganz von allein wirken. Wie zum Beispiel beim Umgang des Menschen mit den Tieren. In Tir na n'Óg werden Tiere so behandelt, wie man es gewohnt ist, wie Tiere eben. Das alleine klingt ja schon abwertend.
Als Meister Aki mit seinem
Schüler und dem Mädchen Raggah das Labyrinthos Dang Lang betreten, werden sie
von einer Gruppe Reiter aufgehalten, die diese Ebene des Labyrinthes
beherrschen und Schutzgeld abpressen wollen. Als Lösung fällt Aki ein,
blitzgeschwind zu einem Gewehr zu greifen und die Reittiere der
Schutzgelderpresser eines nach dem anderen abzuknallen. Warum? Was soll das für
eine Funktion haben? Warum knallt er nicht die Typen ab, wenn er ein Problem
mit ihnen hat. Was können die Tiere dafür, dass auf ihnen solche Arschlöscher
sitzen. Wäre es nicht überraschend gut gewesen, wenn er die Ausbeuter
umgesäbelt und die Tiere aus ihrer Gefangenschaft befreit hätte? Hier kann man
doch ein eindeutiges Zeichen setzen und Wunder bewirken statt ins ewig gestrige
Horn zu blasen.
In einer weiteren Szene begegnen
unsere Helden herrenlosen Straßenhunden. Und wie in der Ukraine greift Raggah zu einem Stein und prügelt sie nieder. Warum? Gerade jetzt, wo vor der EM
2012 für ein schöneres Straßenbild die ukrainische Bevölkerung von offizieller Seite mit der irrigen Vorstellung heiß gemacht wird, die
Straßenhunde seien gefährliche Bestien und sie damit dazu treibt, die
hungernden, verängstigten Geschöpfe auf offener Straße niederzuknüppeln und noch
halb lebendig in fahrenden Krematorien zu verbrennen, sollte man doch ein
deutliches Signal aussenden und besser eine Szene beschreiben, wie wenigstens
Cornelis, Raggah und Aki sich in ihrer Szene um die herrenlosen Tiere kümmern, sie zu einem Tierarzt
bringen und sie versorgen lassen, wenn es in diesem Moloch schon sonst keiner
tut. Das wäre doch mal was gewesen. Die Leser hätten gestaunt und die drei
Gefährten wären ungleich sympathischer.
Trotz dieses für mich
kleinen, bitteren Beigeschmacks freue ich mich auf die Fortsetzung und auf die
Auflösung des Geheimnisses von Tir na n’Óg.
Tir na n'Óg, Teil 1, Der Auserwählte
Autor: Sean O' Connell
Acabus-Verlag, 2011
232 Seiten, Paperback
Tir na n'Óg, Teil 1, Der Auserwählte
Autor: Sean O' Connell
Acabus-Verlag, 2011
232 Seiten, Paperback
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